Der Brandbrief an die Berliner Secession 1933

Das entschiedene Handeln Annots im Zuge der Machtübernahme durch das NS-Regime 1933 zeigt ihren starken Charakter. Mich hat Annots resolute Art, ihr kompromissloser Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit, eine bessere Welt auf Anhieb begeistert. Eine Motivation Annots 1933 so entschieden zu handeln, war die Angst, ihre an Riesenwuchs leidende Tochter Stella könne ein Euthanasie-Opfer werden. Diese Angst hätte Annot dazu bewegen können, still und heimlich mit ihrer Familie zu fliehen. Aber das entspricht ihr nicht. Annot meldet sich 1933 selbstbewusst und lautstark zu Wort, verweigert den Gehorsam. Erst danach flieht sie, um das Leben ihrer Tochter zu retten und mit ihrer Familie weiterhin in Freiheit leben zu können. Diese Entschiedenheit, diese Widerständigkeit macht Annot für mich zu einem Vorbild, wie es heute und zu jeder Zeit gebraucht wird. Von Annots Protest, der öffentliche Protest einer Frau! sei hinzugefügt, möchte ich hier mittels eines Auszugs aus meiner Masterarbeit berichten. (Masterarbeit: „Das Gesicht der selbständigen Frau“ – Annot Jacobi im Berliner Kunstbetrieb der späten Weimarer Republik bis in die Zeit des NS-Regimes Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin im Masterstudiengang Kunstgreschichte im globalen Kontext Europa und Amerika, eingereicht von: Victoria Luise Hohmann-Vierheller, Erstgutachterin: Dr. Meike Hoffmann, Zweitgutachterin: Dr. phil. Miriam-Esther Owesle, Berlin, den 19. November 2016.)

„ (…) Annot Jacobi ist von der Machtübernahme der Nationalsozialisten schockiert. Im Zuge ihrer Wiederentdeckung als Künstlerin Mitte der 1970er Jahre berichtet sie, dass Hitlers Erfolg für sie völlig unerwartet kam:

„,Erst damalsʻ“, erzählt die betagte Künstlerin, „,haben wir gemerkt, daß man Hitler ernst nehmen muß. Vorher haben wir nur über ihn gelacht. Wir haben den ungeheuren Fehler gemacht, ‚Mein Kampf‘ nicht zu lesen, weil es so schlecht geschrieben war.ʻ 1

Dass Hitler, wohl insbesondere von einer gewissen Bildungselite, nicht ernst genommen wurde, ist eine interessante Aussage der Zeitzeugin. Umso unbegreiflicher muss der plötzlich reale Regierungswechsel erlebt worden sein, zumindest seitens Annot, wie diese Aussage verrät. Die Künstlerin empört sich dann auch unmittelbar, als verschiedene Berliner Vereine des Kunstbetriebs auf Druck der neuen Regierung jüdische Mitglieder hinauswerfen, etwa die Berliner Secession und der VdBK.2 Um ihrem Unmut öffentlich Luft zu machen, schreibt sie den bereits erwähnten Brief an die „Betriebszelle der Sezession“,3 der hier detailliert vorgestellt werden soll. Dieser Brief, so verrät eine maschinengeschriebene Anmerkung bezüglich des Falls im Annot-Archiv der AdK Berlin, scheint solche Wellen geschlagen zu haben bzw. mit solch einem Interesse aufgenommen worden zu sein, dass er, so muss wiederholt werden, in der internationalen Presse abgedruckt wurde: Er erschien im „Prager Tagblatt“ und in der „Pariser Zeitung“.4 Dieser Brief ist womöglich nicht nur durch die Ereignisse selbst, sondern auch durch Wilhelm Furtwänglers mutige Auseinandersetzung5 mit Goebbels über deutsche Kunst in der Presse motiviert.6 Die Künstlerin verspottet in ihrem Schreiben regelrecht die Kunstpolitik der Berliner Secession, deren Autoritätshörigkeit und deren Opportunismus. Die Secession hat für die GDK im April des Jahres alle Mitglieder zur Bewerbung angeschrieben, so geht aus Annots Brandbrief hervor, obwohl bekannt ist, dass jüdische Künstler fortan nicht mehr erwünscht sind und bereits telefonisch über ihren Ausschluss informiert wurden – wie bereits bekannt.7 Annot enttarnt diese Farce des Secessionsvorstandes in ihrem Brief wie folgt:

„Hat vielleicht die Secession eine Ausnahme für sich erwirkt? Oder ist es etwa deutbar, daß die secessionistischen Juden die wenigen sein sollen, die auf diese Weise dem Affront (…) seitens des Kartells ausgesetzt werden? Es ist schon so sonderbar, daß die Secession nicht den allgemeinen Brauch einer Jury unter sich mitmacht: Alle anderen Verbände schicken fix und fertige Kollektionen auf die Große Berliner, die dort nur noch aufgehängt zu werden brauchen. Oder sind die Secessionsmitglieder vielleicht juryfrei?“8

Geschickt, und offenbar auch mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch, deckt Annot mittels rhetorischer Fragen das kunstpolitische Treiben auf. Damit übt sie direkte Kritik am eben begonnenen kunstpolitischen Diktat des NS-Regimes. Ein Akt, dessen Mut nicht zu unterschätzen ist. Unverblümt weist sie im Weiteren darauf hin, dass die Berliner Secession überhaupt von jüdischen Förderern und Künstlern ausgemacht sowie getragen wird bzw. von jeher wurde:

„Wie soll denn die „historische Bedeutung der Berliner Secession“ zum Ausdruck gebracht werden, wenn Künstler wie Lesser Ury, Charlotte Berend und Spiro fehlen? Die Secession kann doch nicht ihren philosemitischen Charakter ableugnen wollen? Die Zahl der jüdischen Künstler ist in diesem Verband natürlich zahlenmäßig und prozentual sehr gering (…) aber der Anhang, die Gönner und Förderer, ohne die es nie zu einer „historischen Bedeutung“ gekommen wäre, war doch wohl rein jüdisch? Ich habe auf den Eröffnungen und Gesellschaftsabenden überwiegend jüdisches Publikum gesehen.“9

Klarer und unmissverständlicher lässt sich wohl kaum eine Kritik am regimekonformen Verhalten des Berliner Secessionsvorstandes äußern. Schnörkellos verleiht Annot ihrem Unwillen und ihrem Unverständnis gegenüber dem politischen Einknicken der Secession Ausdruck. Sie bringt die Absurdität des kunstpolitischen Verhaltens der Institution auf den Punkt, die sich nicht nur bis ins Innerste unglaubwürdig macht und die Fahne in den Wind hängt, sondern dadurch fraglos ihre Fundamente selbst ins Wanken bringt.

Annots Empörung und ihr unmittelbares Handeln in Form jenes Protestbriefes sind sicherlich auch ihrer eigenen Mitgliedschaft in der Berliner Secession geschuldet, der sie im Schicksalsjahr 1933, ebenso wie ihr Mann, angehört. Die Mitglieder des Vereins werden vom NS-Regime aufgefordert einen Ariernachweis zu erbringen und sich der neuen Regierung als verpflichtet zu erklären, möchten sie an der GDK im Juni des Jahres teilnehmen.10 Gegen solcherlei kunstpolitische Maßnahmen wehren sich Annot und Rudolf, so berichtet die Künstlerin Anfang der 1950er Jahre rückblickend:

„Mein Mann und ich haben uns in offenen Sitzungen der Berliner Secession gegen diese Massnahmen ausgesprochen, die wir als eine unwuerdige Beschraenkung der freien bildenden Kuenstler empfunden haben. Wir stimmten gegen die Gleichschaltung der Secession und gaben auch sonst in jeder Weise zu erkennen, dass wir mit der neuen politischen Richtung in keiner Weise einverstanden sind.“11

Die direkte persönliche Konfrontation hat Annot, ebenso wie ihr Mann, also auch unternommen, sich demnach weder verbal noch schriftlich gescheut, politisch Stellung zu beziehen. Taten, die Mut erfordern und in jenen Tagen eine beachtliche Ausnahme darstellen.

Die Künstlerin betont weiterhin in ihrem Brief an die Berliner Secession, möglicherweise nicht zuletzt auf Grund ihrer bisherigen Mitgliedschaft, ausdrücklich das Schreiben sei nicht „pro domo“ motiviert, um die eigene künstlerische Karriere zu retten.12 Sie verweist auf ihr kunstpolitisches Handeln als Herzensangelegenheit:

„Vielleicht wundern Sie sich, warum ich mich (…) mit persönlichen Opfern für eine Sache einsetze – es ist für mich eine Angelegenheit der Gesinnung. Anpassung aus opportunen Gründen kenne ich nicht.“13

Diese Aussage könnte exemplarisch für Annots lebenslangen Einsatz für Frieden, Freiheit und Kunst stehen – so sei hier angemerkt. Ihre Einstellung ist eindeutig und bedarf keiner Interpretation. Annot fährt fort:

„Mit belustigten Blicken verfolgen wir (Annot spricht hier offensichtlich von Rudolf und sich) das Treiben gewisser Kollegen, die zu den Großverdienern der Zeit des „Liberalistischen Demokratismus“ gehörten und die sich jetzt auf dem besten Wege dazu befinden, wiederum die Großverdiener des Dritten Reichs zu werden. (…) Sie wissen genau, welche Künstler ich meine, ich brauche Sie Ihnen nicht namentlich zu nennen  ̶  aber eins verstehe ich nicht, daß sie jetzt nicht da, wo sie sich herandrängen, vierkantig herausfliegen.“14

Annot vollführt mit ihrem Schreiben wahrhaft einen kunstpolitischen Rundumschlag. Sie kritisiert die Kunstpolitik des NS-Regimes, den Opportunismus des Vorstandes der Berliner Secession  ̶ einen Verein, der sich durch sein politisches Einknicken bei gleichzeitiger widersprüchlicher Aufrechterhaltung der Fassade selbst ad absurdum führt  ̶  ebenso wie Kollegen, die ausschließlich Karriere fixiert handeln und Macht sowie monetärem Kalkül jegliches Rückgrat opfern. Es ist demnach wenig verwunderlich, dass Annots Brief es auf die Vorderseite des „Prager Tagblatts“ schafft und auch in der Presse der französischen Hauptstadt  abgedruckt wird.15 Die „Pariser Zeitung“ nennt Annots kunstpolitische Einstellung sogar „Ehrenrettung des deutschen Geistes.“16

Im Alter meint Annot mit Blick auf die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, dass ihr „eine Leni Riefenstahl Karriere“ „offengestanden“ hätte,17 als Großnichte Adolph Menzels, des „deutschesten aller Maler“.18 Die Bemerkung ist nicht nur Zeugnis für Annots stete politische Reflexion und ihr politisches Bewusstsein, sie beschwört auch die Imagination eines völlig konträren Werdegang Annots herauf – einen Werdegang, den viele Deutsche in ähnlichen Positionen bedauerlicherweise einschlugen. Annots Rückblick ist, so selbstverständlich als essentiell hervorzuheben, in keiner Weise von Reue motiviert  ̶  im Gegenteil. Die Großnichte Menzels scheint sich auf Grund ihrer vehementen antifaschistischen Einstellung sogar mit ihrer Schwester überworfen zu haben, die während der NS-Zeit in Deutschland bleibt und den Kontakt mit der freiwilligen Emigrantin auf Grund ihres entschiedenen Handelns abbricht.19

Eine weitere Altersnotiz überrascht: Annot weiß zu berichten, dass nur „20 %“ ihrer Schülerinnen jüdisch waren und „die Schule ihren Fortgang überstanden“ hätte, also nicht etwa aus finanziellen Gründen hätte geschlossen werden müssen.20 Annot und auch Rudolf hätten ohne große Einbußen ihren Schulbetrieb weiterführen können und sich nicht ihrer Existenzgrundlage selbst entziehen müssen. Annot lässt sich jedoch nicht auf die Kunstpolitik des NS-Regimes ein, lässt sich nicht etwa als Menzels Großnichte von Hitler beschlagnahmen, sondern verweigert sich der Diktatur von Anfang an und von Grund auf – mit der Konsequenz der Emigration. (…)“

  1. Annot Jacobi in: Reim, Regine, „Menschen in München – Eine Malerin kämpft für den Frieden“, Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, 25. August 1976. ↩︎
  2. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. „Gleichschaltung der Kunst“, Artikel im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933, mit Abdruck eines Briefes von Annot an die Berliner Secession. ↩︎
  3. Ebd. ↩︎
  4. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. Anmerkung zum Artikel „Gleichschaltung der Kunst“ im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933. ↩︎
  5. Siehe: „Briefwechsel Furtwängler und Minister Goebbels“, Berliner Morgenpost, Mittwoch,
    12. April 1933, S. 10. ↩︎
  6. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 65, Washington D. C. News, „Artist Annot and husband find refuge in U. S. after defying Nazis and losing their friends“, 5. Januar 1935. ↩︎
  7. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. „Gleichschaltung der Kunst“, Brief Annots an den Verein der Berliner Secession, Artikel im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933. ↩︎
  8. Ebd. ↩︎
  9. Ebd. ↩︎
  10. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 56. Selbstauskunft, NYC, 29. Januar 1952. ↩︎
  11. Ebd. ↩︎
  12. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. „Gleichschaltung der Kunst“, Brief Annots an den Verein der Berliner Secession, Artikel im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933. ↩︎
  13. Ebd. ↩︎
  14. Ebd. ↩︎
  15. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. Anmerkung zum Artikel „Gleichschaltung der Kunst“ im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933. ↩︎
  16. Ebd. ↩︎
  17. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 44. Notiz im Zusammenhang mit dem Interview zwecks Autobiographie. ↩︎
  18. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 52. „Gleichschaltung der Kunst“, Artikel im „Prager Tagblatt“, Ausgabe 105, 1933, mit Abdruck eines Briefes von Annot an die Berliner Secession. ↩︎
  19. AdK, Berlin, Annot-Archiv, Nr. 44. Notiz im Zusammenhang mit dem Interview zwecks Autobiographie. ↩︎
  20. Ebd. ↩︎

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